Morgen, meine Lieben,
widmen wir doch heute mal unsere Aufmerksamkeit einer anderen Freude des Arbeitslebens: dem Arbeitsweg mit den öffentlichen Nahverkehrsmitteln.
Mancher fragt sich jetzt bestimmt: „Warum fährt er nicht mit dem Auto auf Arbeit, wie jeder anständige Mensch?“, aber ein kurzer Blick aus dem Fenster meines Büros ist Argument genug, lieber andere fahren zu lassen als sich den Stress selber zu geben.
Ausserdem kann man in den Öffentlichen immer wieder etwas lernen. Zum Beispiel weiß ich jetzt, dass das Gasgemisch in einem 4-Takt-Ottomotor auf 600Grad erwärmt wird. Das verdanke ich einer strassgepiercten Disko-Tusse, die heute in der U-Bahn ihr mühsam auswendiggelerntes Wissen einem als Rapper verkleidetem Kerlchen vortragen mußte. Schade nur, das ihr völlig leerer Blick bei dem Vortrag ziemlich deutlich machte, das sie nicht die leiseste Ahnung hatte, wovon sie redet.
Dann war da noch die freundliche Frau, die die Ansagen auf dem Bahnsteig macht. In akzentfreiem Deutsch, möchte ich dazu sagen. Keine Spur fremdländischer Untertöne. „Der Zug nach blablabla, planmäßige Abfahrtszeit 7:41, ist Ausfall.“
Nein, kein Tippfehler. Nur eine Einheimische, die von deutscher Grammatik noch viel weniger versteht als Döner-Ali um die Ecke. Und dem verzeiht man das eher. Mein Englisch verursacht wahrscheinlich auch einigen Leuten Zahnschmerzen, obwohl sie es vor lauter Dankbarkeit überhaupt mit mir kommunizieren zu können nicht zugeben.
Was mir meinen Glauben an meine Miteinheimischen erhalten hat waren die völlig irritierten Blicke der Umstehenden Richtung Aufsichtshäuschen. Und die galten nicht dem Ausfall. Das sind wir schon gewöhnt.
Was mich auch immer wieder fasziniert ist das unterschiedliche Temperaturempfinden von Fahrgästen. Im Sommer ist das immer besonders lustig. Ein paar Tage herrschen über 30 Grad, jedes nicht von zugempfindlichen Omis und Opis überwachte Fenster ist weit aufgerissen, um wenigstens etwas Kühlung zu finden. Und dann kommt der große Temperatursturz. Das Thermometer fällt über Nacht auf arktische 25 Grad. Plus, nicht minus. Und sofort werden alle Öffnungen, durch die möglicherweise Aussenluft eindringen könnte verriegelt und verrammelt. Und schon herrschen wieder über 30 Grad im Zug bei ungefähr 98,9% Luftfeuchtigkeit. Wär doch schade, wenn wir nicht noch 1-2 Tage länger über die Hitze stöhnen könnten.
Im Winter, also z.B. heute sinds dann eher die autonomen Bahnfahrer, die mich verwirren. Draussen haben wir einige wenige Minusgrade. Okay, der Wind beißt ordentlich, also packt man sich gut ein. Und dann kommt man in die Bahn. Ich hab zwar kein Thermo dabei, aber ich würde sagen frühlingshafte 15Grad, wenn nicht mehr. Als ich mich in einen Sitz fallen lasse treten mir erste Schweißperlen auf die Stirn und ich öffne hektisch die Jacke. Dann fällt mein Blick auf die drei Grazien mir gegenüber. Alle drei um die 40 aber ansonsten sehr unterschiedlich. Links die junggebliebene Intellektuelle, in der Mitte die Sachbearbeiterin und ganz rechts die ökologisch korrekte Outdoor-Fanatikerin. Aber noch eine Sache haben sie gemeinsam: sie sind vermummt bis zum Haaransatz. Dicke Schals oder Palestinensertücher winden sich mehrfach um ihre Hälse und sind bis zur Nase hochgezogen, die Jacken und Mäntel sind bis oben geschlossen, die Hände in Ärmeln oder Taschen verborgen. Nur eins vermisse ich: den Eskimo-Overall aus Robbenfell, der sie vor der richtigen Kälte schützt, wenn sie wieder aussteigen.
Gerade kommt mir der Zeitungsartikel über unterschiedliches Temperaturempfinden bei Männern und Frauen in den Kopf, den ich neulich gelesen habe. Da wendet sich mein Blick zu dem Kerl, der sich grade neben mir hinsetzt, den Schal vor seiner unteren Gesichtshälfte zurecht zupft und die behandschuhten Hände in den Jackentaschen verschwinden läßt. Da geht sie hin, meine Theorie.
Naja, mal sehn, was der Tag noch so bringt. Gut angefangen hat er jedenfalls. Gleich mein 2. Kunde war einer von meinen Stammgästen, der mir länger erklären mußte, wie unzuverlässig unsere DSL-Zugänge sind. Bis sich herausstellte, das die Putzfrau oder wer auch immer das Kabel zwischen Router und DSL-Modem heraus gezogen hatte. Naja, wenigstens war er angemessen erleichtert und dankbar. Das läßt hoffen.